Der Begriff der Tatsache (fait) durchzieht und analogisiert Diderots epistemologische wie poetologische Reflexion. Mit der Befragung der materiellen Fakten aber verbindet sich die ereignishafte Ausgestaltung ihrer Abstände: Für den Materialisten Diderot besteht daher in der Begegnung von Partikeln, in der Wirk-samkeit ihrer Anziehung und Trägheit sowie im qualitativen Sprung von der unbelebten zur belebten Ma-terie das zentrale Forschungsinteresse. Dabei stehen jedoch die kontinuierlichen Ketten, welche Lebewe-sen und Ereignisse bilden, und die Diskontinuität der wissenschaftlichen Befunde in einem spannungsvol-len Bezug. Diesen zweipoligen epistemologischen Befund macht Diderot auch in seinen literarischen Arbeiten fruchtbar und diskursiviert ihn zugleich vielfach textintern: Eine geschlossene Kette der Ereignisse besteht dabei lediglich als die Hypothese von einem Buch der Welt, in dem Jacques der Fatalist das Kommende bereits vorbeschlossen sieht. Diesem schicksalhaften Welttext steht das Diskontinuierliche des manifesten Romantextes gegenüber. Als Autor handelt Diderot gemäß der eigenen paradoxen Einsicht, dass gerade die bizarre und sprunghafte Vorstellungswelt des Dichters der Wahrhaftigkeit der Natur eher entspricht als ein mimetisches Nachempfinden vermeintlich logischer Sinneinheiten und bruchloser Handlungsfol-gen. In einer Nachbemerkung zur Erzählung Les deux Amis de Bourbonne präzisiert Diderot dieses Anliegen, die Literatur vor dem Vorwurf der Unwahrhaftigkeit zu retten, sie einerseits vor der Rhetorizität einer regel-poetischen Erfüllung wie auch vor falsch verstandenem Idealismus klassizistischer Prägung zu bewahren. Es gelte, im glatten Gesicht des Ideals Narben und Risse sichtbar zu machen. Indem er gerade in der durchbrochenen Sinnoberfläche seiner Prosa die Entsprechung zur geschilderten Natur akzeptiert, kann die fiktionale Wirklichkeit als eine wahre gerettet werden.

,Zur Tatsache!‘ – Krise der Mimesis und diskontinuierliches Erzählen bei Denis Diderot / Reidenbach, Christian. - STAMPA. - (In corso di stampa), pp. N/A-N/A.

,Zur Tatsache!‘ – Krise der Mimesis und diskontinuierliches Erzählen bei Denis Diderot

REIDENBACH, CHRISTIAN
In corso di stampa

Abstract

Der Begriff der Tatsache (fait) durchzieht und analogisiert Diderots epistemologische wie poetologische Reflexion. Mit der Befragung der materiellen Fakten aber verbindet sich die ereignishafte Ausgestaltung ihrer Abstände: Für den Materialisten Diderot besteht daher in der Begegnung von Partikeln, in der Wirk-samkeit ihrer Anziehung und Trägheit sowie im qualitativen Sprung von der unbelebten zur belebten Ma-terie das zentrale Forschungsinteresse. Dabei stehen jedoch die kontinuierlichen Ketten, welche Lebewe-sen und Ereignisse bilden, und die Diskontinuität der wissenschaftlichen Befunde in einem spannungsvol-len Bezug. Diesen zweipoligen epistemologischen Befund macht Diderot auch in seinen literarischen Arbeiten fruchtbar und diskursiviert ihn zugleich vielfach textintern: Eine geschlossene Kette der Ereignisse besteht dabei lediglich als die Hypothese von einem Buch der Welt, in dem Jacques der Fatalist das Kommende bereits vorbeschlossen sieht. Diesem schicksalhaften Welttext steht das Diskontinuierliche des manifesten Romantextes gegenüber. Als Autor handelt Diderot gemäß der eigenen paradoxen Einsicht, dass gerade die bizarre und sprunghafte Vorstellungswelt des Dichters der Wahrhaftigkeit der Natur eher entspricht als ein mimetisches Nachempfinden vermeintlich logischer Sinneinheiten und bruchloser Handlungsfol-gen. In einer Nachbemerkung zur Erzählung Les deux Amis de Bourbonne präzisiert Diderot dieses Anliegen, die Literatur vor dem Vorwurf der Unwahrhaftigkeit zu retten, sie einerseits vor der Rhetorizität einer regel-poetischen Erfüllung wie auch vor falsch verstandenem Idealismus klassizistischer Prägung zu bewahren. Es gelte, im glatten Gesicht des Ideals Narben und Risse sichtbar zu machen. Indem er gerade in der durchbrochenen Sinnoberfläche seiner Prosa die Entsprechung zur geschilderten Natur akzeptiert, kann die fiktionale Wirklichkeit als eine wahre gerettet werden.
In corso di stampa
Erzählende und erzählte Aufklärung
N/A
N/A
Reidenbach, Christian
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